HOCHSENSIBILITÄT & TRAUMA

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Trauma ist ein großes Wort, das von den meisten Menschen mit Schocktraumata (zu denen  Naturkatastrophen, Entführungen, Missbrauch, Gewalterfahrungen, Unfälle etc. zählen) in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus gibt es aber auch Trauma-Erfahrungen, die ihren Ursprung in der frühkindlichen Entwicklung haben und durch ein "zu viel" oder "zu wenig" entstehen.

Trauma stammt vom griechischen Wort für Wunde, das in der Medizin 'unsichtbare' Verletzungen bezeichnet, die durch äußere Gewalteinwirkungen entstanden. Ende des 19. Jahrhunderts fand man heraus, dass bestimmte Ereignisse in vergleichbarer Weise seelische Wunden hinterlassen können und so übernahm man diesen Begriff auch in die Psychologie. Diese seelischen Wunden hinterlassen Spuren in unserem Körper und werden im autonomen Nervensystem abgespeichert.

 

Was Trauma ausmacht und bedeutet aus Sicht des Trauma-Experten Peter A. Levine:

„Bei einem Trauma geht es, kurz gesagt, um den Verlust der Verbindung: zu uns selbst, zu unserem Körper, zu unseren Familien, zu anderen Menschen und zu der uns umgebenden Welt. Dieser Verlust der Verbindung ist oft schwer zu erkennen, weil er nicht mit einem Mal passiert. Er kann sich langsam einstellen, allmählich und mitunter passen wir uns an diese subtilen Veränderungen an, ohne sie überhaupt zu bemerken. Das sind die versteckten Auswirkungen eines Traumas, die die meisten von uns in sich tragen. Möglicherweise spüren wir einfach nur, dass wir uns nicht so gut fühlen, ohne uns jemals ganz im Klaren darüber zu sein, was da eigentlich abläuft; dass nämlich unser Selbstwertgefühl, unser Selbstvertrauen, unser Wohlbefinden und unsere Verbindung zum Leben nach und nach unterspült werden. Unsere Wahlmöglichkeiten schränken sich ein, weil wir bestimmte Gefühle, Menschen, Situationen und Orte meiden. Das Ergebnis dieser allmählichen Freiheitsbegrenzung ist der Verlust von Vitalität und Kraft für die Erfüllung unserer Träume.“ 

 

Warum spielt das Thema Trauma im Zusammenhang mit Hochsensibilität nun eine Rolle?

Das liegt daran, dass die Schnittmenge beider Phänomene in ihren Auswirkungen über das autonome Nervensystem relativ groß ist und damit eine Unterscheidung nicht immer leicht macht. 

In der Betrachtung der Symptome finden wir große Ähnlichkeiten, zum Beispiel die erhöhte Wachsamkeit, eine Überempfindlichkeit auf äußere Einflüsse, Abgrenzungsprobleme oder auch die Neigung sich immer wieder zurückzuziehen, wenn die Reizflut zu groß wird.

Hinzu kommt eine komplexe Innenwelt, die ganzheitliche Wahrnehmung sowohl des eigenen Erlebens wie auch seiner Umwelt. Gleichzeitig zeigen die Betroffenen aber auch Vermeidungsverhalten. Der erhöhte Noradrenalinwert im Blut und die vermehrte Adrenalinausschüttung unter gefühltem Stress, sorgen für reflexhaftes Verhalten. Diese schnelle und zutiefst unbewusste Reaktion bringt Automatismen hervor, die scheinbar nicht steuerbar sind. Klassischerweise zeigen sich Schamtendenzen, die in einem allgemeinen „Ich bin nicht richtig-Gefühl“ ihren Ausdruck finden.

 

Trotzdem gibt es bei allen Gemeinsamkeiten auch deutliche Unterschiede:

Flashbacks (wiederkehrende Erinnerungsbilder an das traumatische Ereignis), Angststörungen oder selbstzerstörerische Tendenzen sind nur einige Trauma-Merkmale, die in keinem direkten Zusammenhang zur Hochsensibilität stehen.

Differenzieren lässt sich das Thema aus meiner Sicht am sinnvollsten, wenn man zwischen hochsensibel sein (angeborenes Temperament) und einem (z. B. durch Trauma ausgelösten) hoch sensiblen Erleben unterscheidet. Traumatisierte  Menschen nehmen die Welt aufgrund ihres hocherregbaren autonomen Nervensystems oft besonders reizintensiv und damit in vielen Punkten hoch sensibel wahr. Das heißt aber nicht, dass sie hochsensibel sind. Der Fachbegriff für dieses Phänomen ist Hypervigilanz.

 

Darüber hinaus können aber natürlich auch beide Phänomene gleichzeitig existieren, zum Beispiel wenn die Startbedingungen ins Leben schwierig waren und unsichere Bindungserfahrungen das Nervensystem belasten und damit für ein kleineres Regulationsfenster sorgen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Größe unseres jeweils individuellen Toleranzbereichs etwa in dem Zeitraum zwischen unserer Zeugung und der Vollendung des 3. Lebensjahres ausbildet. Das bedeutet rein praktisch, dass Menschen, die das Glück hatten die erste maximal sensible Zeit ihres Seins unter guten, sicher gebundenen und harmonischen Umständen heranzuwachsen, über einen breiteren Wohlfühlraum verfügen als diejenigen, die weniger optimale Umstände vorgefunden haben.



Wenn wir nun die Brücke zum Thema Hochsensibilität schlagen wollen, möchte ich mich auf die Pionierin des Themas (Elaine Aron) beziehen, die in ihren Forschungen herausgefunden hat, dass Hochsensibilität wie ein Verstärker wirkt. Das bedeutet:

Ein hochsensibles Kind profitiert potenziert von guten Startbedingungen, so dass sein Fenster überproportional wächst und es über eine große Resilienz verfügt. Leider funktioniert das aber auch in die andere Richtung. So wird der Regulationsbereich eines hochsensiblen Kindes, das unter herausfordernden Umständen seinen Weg ins Leben findet, überproportional kleiner ausfallen, als bei einem normal sensiblen Menschen mit vergleichbaren Erfahrungen. 

 

Gelingt es das Trauma mit professioneller Unterstützung aufzuarbeiten und bis in die Zellen aufzulösen, können auch die Begleiterscheinungen des hoch sensibel reagierenden Nervensystems verschwinden. Das schafft die Voraussetzung, dass ein normal sensibles Leben möglich werden kann. 

Hochsensibilität hingegen bleibt ein Leben lang bestehen, mit all seinen Potenzialen und Herausforderungen.